FAZ Sonntag, 25.08.2013
Die Alternative für Deutschland (AfD) hat in Göttingen die Antifa zum Feind. Das ist schlecht, weil die linksradikale Antifa in der Stadt traditionell stark ist. Die meisten Wahlplakate der AfD sind in Göttingen abgekratzt oder mit Parolen beschmiert. Im Internet sammelt die Antifa Orte, an denen AfD-Wahlplakate hängen. Die Kampagne heißt: „Alles muss man selber machen.“
Laut AfD geht es aber nicht nur um Plakate, sondern um Leib und Leben. In der Nacht vom 9. auf den 10. August rief das AfD-Mitglied Lennard Rudolph die Polizei. Der Neunzehnjährige erzählte, er habe im Garten Vermummte gesehen. Er fühle sich bedroht. Die Polizei durchsuchte das Gelände. Sie fand keine Spuren. In der Nacht parkte ein Streifenwagen als Schutz vor Rudolphs Tür. Bei Tageslicht suchte die Polizei noch mal erfolglos nach Fußspuren. Rudolph erstattete Anzeige gegen Unbekannt wegen Hausfriedensbruch.
In der Zeitung las die Polizei Tage später von einem angeblich vereitelten Brandanschlag auf das Haus von Rudolph. Die Wände des Wohnhauses seien „mit Benzin übergossen“ worden, hieß es. Die Polizei wunderte sich, dass Rudolph den Beamten in der Nacht nichts davon gesagt hatte. Aber sie nahm Ermittlungen auf – bislang ohne Ergebnis. Rudolph berichtete den Polizisten nun von „Benzingeruch“, den er wahrgenommen habe.
„Wir machen dich kalt“
Die AfD verschickte eine Pressemitteilung, in der sie die Lage in Göttingen dramatisch schilderte: Eine Brandstiftung auf eine Garage, die an ein Wohnhaus angrenzte, sei nur „durch Zufall“ verhindert worden. Wahlkämpfer würden tätlich angegriffen und brauchten Polizeischutz: 60 Polizisten seien nötig gewesen, um den Wahlkampfstand der AfD in der Innenstadt vor Übergriffen von Autonomen zu schützen.
Der Mitgründer der Partei Bernd Lucke sprach von einer „Ohrfeige für die Demokratie“, eine Sprecherin fühlte sich durch die Göttinger Vorfälle an „die schlimmsten Zeiten der Weimarer Republik“ erinnert. Matthias Hans, Vorsitzender der AfD in Göttingen/Osterode, sagte der Presse, Mitglieder der Partei würden am Telefon bedroht: „Wenn du bei der AfD bleibst, werden wir dein Kind morgens zur Schule begleiten“ oder „Wenn du weitermachst, dann werden wir dich kaltmachen“. Um die Wahlkämpfer und ihre Familien zu schützen, erwog die AfD den Wahlkampf in Göttingen abzubrechen.
Ein Polizeibeamter, der die Antifa in Göttingen gut kennt, sagt, es sei „atypisch“ für die Szene, dass sie Leib und Leben bedrohe. Sachbeschädigung ja, aber Gewaltdrohungen seien unwahrscheinlich. Auch gab es nach Aussage der Polizei keine 60 Beamten, die die AfD in der Innenstadt schützen mussten. 40 Beamte waren in der gesamten Innenstadt im Einsatz, ein üblicher Vorgang an einem Wahlkampfsamstag. Als linksradikale Demonstranten den Stand der AfD bedrängten, habe man sich dazwischen gestellt. Es kam zu Rangeleien zwischen Antifa und Polizei. Die Wahlkampfhelfer der AfD blieben unversehrt, bauten infolge der Proteste aber den Stand ab.
Fälschung oder Entlarvung?
Die Sache AfD gegen Antifa hat sich hochgeschaukelt. Auf ihrer Internetseite spricht die Göttinger AfD von „Linksfaschisten“ und „links motiviertem Terror“. Die Antifa wiederum beschuldigt die AfD, sie vertrete rechtsradikale Positionen und schütze Neonazis in den eigenen Reihen. Einer davon sei Lennard Rudolph. Im Internet kursiert ein Bild, das ihn mit Hitlergruß zeigt. Er sitzt dabei auf seinem Fahrrad und lacht. Das Bild ist mittlerweile nicht mehr auf Facebook. Rudolph sagt, seine Seite sei manipuliert worden, das Bild eine Fotomontage und auch die „Gefällt mir“-Angaben bei der NPD und dem Giftgas „Zyklon B“ seien Ergebnis des Hackerangriffs gewesen. Seine Partei glaubt ihm. Die Antifa aber bleibt dabei: Rudolph sei ein Neonazi, und die Partei dulde das.
Matthias Hans von der Göttinger AfD möchte sich zur Antifa nicht äußern: „Über die Göttinger Antifa kann ich Ihnen nichts sagen, weil ich mich mit ihr noch nicht beschäftigt habe“, schreibt er auf Anfrage. Er schlägt vor, zum Thema Antifa Wikipedia oder andere Parteien zu konsultieren. Zu einem Treffen ist er trotzdem bereit, Lennard Rudolph würde auch mitkommen. Das Treffen in einem kubanischen Restaurant sagt er dann kurzfristig per SMS ab. Der AfD-Landesvorsitzende von Niedersachsen, Ulrich Abramowski, hat Hans „einen Maulkorb verpasst“. Abramowski sagt, die Situation müsse „deeskaliert“ werden.
„AfD keine Heimat für Rechtsextreme“
Bei der Frage nach dem Brandanschlag spricht Abramowski von einem „großen Wirrwarr“ und „Verwirrung“, die aufgrund der angespannten Lage bei einigen Mitgliedern bestehe. Die vermehrten Angriffe auf die AfD seien auch das Resultat von Medienberichten, die die AfD in eine rechtsradikale Ecke stellten. Aber Mitgliedschaften oder eine Nähe zu NPD, DVU oder Republikanern seien ein Ausschlusskriterium: „Das sind Menschen, die bei uns keine Heimat haben.“ Dass ein Kreisvorstandsmitglied aus Göttingen wegen rechtsextremer Äußerungen eines anderen Göttinger Mitglieds zurücktrat, erklärt Abramowski mit der politischen Herkunft des Zurückgetretenen: „Er ist ein ehemaliges Mitglied der Linken, welche Absicht dahintersteht, da mache ich mal ein Fragezeichen.“
Der Wirt des Gasthofs „Zur Linde“ hat sich bis vor kurzem wenig Gedanken über die AfD gemacht. „Die wollen den Euro abschaffen“, weiß er. Das stand auf einem Flyer, den die Partei nach einem Stammtisch im Gasthof liegen gelassen hat. Den nächsten Stammtisch sagte sie ab. Statt der AfD kamen 70 Antifa-Anhänger, die das nicht mitbekommen hatten. Sie standen auf der Straße, schwenkten rote Fahnen und riefen Parolen. Die AfD will der Wirt seitdem nicht mehr im Haus haben. Der Gasthof war nachts mit Farbe beschmiert worden